Sonnenberg und Chemnitz 2025. Einführung

Wechselwirkungen von Kunstprogrammen und prozessualer Stadtentwicklung.

Annette Menting (Leipzig)

Mit dem Konzept für die Kulturhauptstadt Europas Chemnitz 2025 ist die Verknüpfung von Kunst und Kultur, Stadtentwicklung und partizipativen Prozessen explizit formuliert. Zu den Akteur:innen gehören internationale und lokale Künstler:innen, Projekte und Initiativen der Kunst- und Kulturszene. Herausforderungen für die Stadt und die Region sind die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Demokratieförderung, denen sich auch die Programme der Kulturhauptstadt widmen. Vor diesem Hintergrund stellt das Bid Book Chemnitz 2025 Partizipation als zentrales Prinzip und vielfältige Bürgerbeteiligung als wichtiges Format heraus [vgl. Stadt Chemnitz: 13].

Wie wird das Versprechen der Teilhabe verfolgt und mit welchen Projekten soll es umgesetzt werden? Wie werden bestehende Initiativen eingebunden und die Stadtgesellschaft angesprochen? Welche Programme bieten auch gesellschaftlich nachhaltige Perspektiven für Chemnitz und die Region? Mit diesen Fragestellungen und mit der Wechselwirkung von Kulturhauptstadt und kulturell-räumlicher Quartiersentwicklung beschäftigt sich dieser zweiteilige Beitrag. Die Beobachtungen konzentrieren sich auf das Quartier Sonnenberg östlich des Chemnitzer Zentrums, da der Ort in mehrfacher Hinsicht paradigmatisch für die Kulturhauptstadt ist: Nach wie vor ist er von Leerstand und Brachen geprägt, Kunstprogramme zu Chemnitz 2025 werden von Akteur:innen aus und in dem Quartier umgesetzt, ein ehemaliger Betriebshof ist eine der zentralen Interventionsflächen und wird zum neuen Kreativhof Stadtwirtschaft entwickelt.

Abb. 1: Chemnitz Stadtzentrum und Sonnenberg, Lageplan: [1] Stadtzentrum; [2] Stadthalle und Stadthallenpark; [3] Oper und Kunstsammlungen, Theaterplatz; [4] smac – Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz; [5] Das TIETZ, Kulturbetrieb der Stadt; [6] Schauspielhaus; [7] Sonnenberg – Zietenstraße; [8] Projekthaus mit Lokomov und Galerie Hinten, Augustusburger Straße 102; [9] Areal des neuen Kreativhofs Stadtwirtschaft, Augustusburger Straße, Jakobstraße, Schüffnerstraße, Zietenstraße

Um den Intentionen des Bid Books nachzugehen, wurden Gespräche mit zwei Chemnitzerinnen geführt, die unmittelbar in den Bewerbungsprozess und die Vorbereitung zur Kulturhauptstadt eingebunden sind. In Teil 1 werden mit Mandy Knospe, Kulturakteurin der freien Szene, Kunst-Räume und Initiativen auf dem Sonnenberg und Programme im öffentlichen Raum wie die Dialogfelder besprochen. In Teil 2 behandelt das Gespräch mit Grit Stillger, Abteilungsleiterin Stadterneuerung des Stadtplanungsamtes, die konzeptionell-räumlichen Quartierentwicklungen Sonnenberg und Transformationsprozesse des Kreativhofs Stadtwirtschaft. Um die Perspektive zu erweitern, kontextualisieren Notizen die angeführten Orte und Programme von Kunst, Kultur, Architektur und Stadtentwicklung.

Der Sonnenberg ist ein Gründerzeitviertel, das in den letzten Jahrzehnten eine wechselvolle Entwicklung erfahren hat: Mitte der 1980er-Jahre wurde es Sanierungsgebiet und im südlichen Teil wurden verfallene Altbauten durch Neubauten in Großtafelbauweise ersetzt. Aufgrund der noch vorhandenen gründerzeitlichen Bausubstanz wurde der Sonnenberg Anfang der 1990er-Jahre zum Flächendenkmal erklärt. Im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost wurden jedoch in den 2000er-Jahren weitere Altbauten abgebrochen, um dem Wohnungsleerstand in der seinerzeit schrumpfenden Stadt entgegenzuwirken. Seit 2010 entwickelte sich zivilgesellschaftliches Engagement für den Bestandserhalt und die Entwicklung kulturell nutzbarer Räume. Zugleich entstanden in der Verwaltung Stadterneuerungskonzepte für das Quartier. Hier setzt der Beitrag an und beschäftigt sich vor allem mit dem Bereich Augustusburger Straße/Zietenstraße, in dem das genannte Kunstprogramm und die Interventionsfläche der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 verortet sind.

Abb. 2: Bestehende und künftige Kulturorte auf dem Sonnenberg an der Zietenstraße, Lageplan: [1] Projekthaus mit Lokomov und Galerie Hinten, Augustusburger Straße 102; [2] Projekthaus mit Club Nikola Tesla, Kabinettstückchen Co-Working Space, Sitz des ASA FF e. V., Zietenstraße 2a; [3] Off-Theater Komplex, Zietenstraße 32; [4] Späti, Jakobstraße 42; [5] Haus D und Areal des neuen Kreativhofs Stadtwirtschaft, Augustusburger Straße, Jakobstraße, Schüffnerstraße, Zietenstraße; [6] Nachbarschaftsgarten Zietenaugust, Zietenstraße 4; [7] FabLab, Philippstraße 13; [S] Straßenbahn-Haltestelle

Die nachhaltige Wirksamkeit der Kulturhauptstadtprojekte lässt sich erst nach 2025 genauer analysieren und bewerten. Zu beobachten ist aber bereits, dass mit der Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas 2016/17 und vor allem mit der Titelvergabe im Jahr 2020 die Chemnitzer Stadtpolitik ermutigt wurde, sich auf neues Terrain zu begeben bei der Förderung partizipativer Kunst- und Kulturprojekte und Quartiersentwicklungen [vgl. Menting: 71f]. Bei den Kulturhauptstadtprojekten auf dem Sonnenberg zeigen sich Wechselwirkungen mit den mehrjährigen Entwicklungsprozessen. Angesichts der Überschreibung vergangener Nutzungen und der Konzeption künftiger Gebrauchsweisen wird deutlich, dass der Einbindung von städtischem Wissen der Akteur:innen und ihrer Netzwerke eine besondere Rolle für das Stadtmachen zukommt. Hier zeichnen sich unterstützende Impulse für eine gemeinwohlorientierte Kultur- und Stadtproduktion ab, die von prozess- und akteurgetragenem Verhandeln, Entwerfen und Gestalten bestimmt ist.

 

 

Literatur und Quellen

Menting, Annette. Urbane Topologie Chemnitz – Spielstätten im Stadtkontext. ARBEITSHEFT #3 Urbane Topologien und Orte für die Aufführungskünste. Reihe ARBEITSHEFTE Architektur und Raum für die Aufführungskünste, herausgegeben von Barbara Büscher und Annette Menting. SLUB, Qucosa: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-752231, 2021.

Stadt Chemnitz (Hg.). C the Unseen – European Makers of Democracy, Bid Book II. Chemnitz, 2020. https://chemnitz2025.de/wp-content/uploads/2020/12/BidBook-deutsch.pdf, 15.5.2022.

  

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