Kunst + Buch: Aneignung. Format. (Ausstellungs-) Objekt

Über Buchmessen, Bibliodiversität und gegen den Begriff des Künstlerbuches

Michalis Pichler im Gespräch mit Verena Elisabet Eitel und Barbara Büscher
Michalis Pichlers Beschäftigung mit dem Buch findet seit vielen Jahren auf verschiedenste Weise statt. In seiner künstlerischen Tätigkeit bewegt er sich im Kontext der sogenannten Appropriation Art – der künstlerischen Wiederaneignung, des Kopierens anderer künstlerischer Werke – immer in Bezug auf das Medium des Buches. 2009 ist Michalis Pichler Mitbegründer der ersten Miss Read – The Berlin Art Book Fair. Die Messe hat sich inzwischen zu einem in Europa einzigartigen Festival für Künstlerpublikationen unterschiedlichster Art und der Praxis des Publizierens entwickelt, mit einem vielseitigen Begleitprogramm von Vorträgen, Diskussionen, Buchveröffentlichungen und mehr. 2018 findet sie zum 10. Mal statt – mit fast 250 Ausstellern im Jahr 2017 – und auch aus diesem Anlass wird eine Publikation unter dem Titel "Publishing Manifestos" erscheinen. Michalis Pichler begleitet und gestaltet diese besondere Buchmesse seit ihren Anfängen. Im Gespräch mit ihm möchten wir herausfinden, wie er sich als Künstler, der heutzutage mit Büchern arbeitet, in der Geschichte der Künstlerpublikationen sieht, wie er das Verhältnis von Buchkunst und Kunstbuch im Zeitalter digitalen Publizierens versteht und wie sich die Konzeption von Miss Read und den dort vertretenen Verleger_innen beschreiben lässt. www.buypichler.com www.missread.com

Von der Wand auf die Seite in den Raum der „portablen Galerie“. Ausstellungen und Publikationen der Berliner Galerie situationen 60 zwischen Dokumentation und Kunst

Regine Ehleiter (Leipzig/London)
In ihrer Westberliner Galerie situationen 60 präsentierten Barbara und Christian Chruxin zwischen 1963 und 1966 neben zahlreichen Ausstellungen visueller Poesie und konstruktivistischen Positionen ein breites Spektrum performativer, installativer und fotokonzeptualistischer Praktiken. Für ihre ambitionierte Editionsreihe in Form eines faltbaren Modells der Galerie wurden die ausgestellten Künstler/-innen eingeladen, ihre Arbeiten auf die Präsentationsmöglichkeiten und Parameter der Publikation zu übertragen. Diese „portablen Galerien“ dienten als Dokumentation des „temporären Ereignis[es] Ausstellung“ [C. Chruxin]. Entgegen konventioneller, hierarchischer Zuschreibungen der Publikation als sekundäres Medium zur Dokumentation einer Ausstellung bezeichneten Christian und Barbara Chruxin Präsentationen in der Galerie als dokumentation a und die dazugehörigen Editionen gleichberechtigt als dokumentation b. Diese Namensgebung, so die These des Beitrags, spiegelt die zunehmende Auflösung der Trennung zwischen Dokumentation und künstlerischer Praxis in den 1960er-Jahren.

Entfaltungen: Channa Horwitz und das Leporello

Stephanie Götsch (Wolfsburg/Berlin)
Die Künstlerin Channa Horwitz (1932–2013, Los Angeles) wurde vor allem durch ihre komplexen Notationssysteme bekannt. Ihre Werke werden häufig im Spannungsfeld der Minimal Art und der Conceptual Art verortet. Die von ihr verwendeten Medien erstrecken sich über Zeichnungen, Installationen bis zu Performances. Horwitz arbeitet mittels dieser unterschiedlichen Darstellungsmodi an einer universellen Sprache, die von anderen künstlerischen Disziplinen als Anleitung interpretiert und somit in Tanz, Lyrik, Musik oder in eine Installation umgesetzt werden können. Das wichtigste Motiv ihrer künstlerischen Arbeit ist das Aufzeichnen von Bewegung innerhalb eines Zeitraumes. Hierzu entwickelt Sie verschiedene Spielarten, die Horwitz häufig in Buchform herausgibt. Der Akt des Aufschlagens und des Umblätterns eröffnen der Künstlerin neue Möglichkeiten, über die Präsentation ihrer Notationen nachzudenken. Der Beitrag geht der Frage nach, welche Konsequenz das Format des Leporellos für Horwitz’ künstlerische Praxis hat und wie ihre Notationen durch das Format archiviert werden.

Nomadisieren zwischen den Formen. Das Theater der Grausamkeit auf der Bühne des Subjektils

Melanie Reichert (Kiel)
Der Beitrag untersucht den Stellenwert des Schreibens und Zeichnens im Werk Antonin Artauds und fragt dabei besonders nach seinem Verhältnis zum „Scheitern“ des Theaters der Grausamkeit. Er fragt, ob und inwiefern seine Texte und Zeichnungen das Theater der Grausamkeit, wie vielleicht auch sein Scheitern archivieren. Von besonderer Relevanz ist dabei, dass Artaud nach intensiven Bemühungen um eine Erneuerung des Theaters zum Zeichnen zurückgefunden hat, das er im Laufe der Zwanzigerjahre eigentlich aufgegeben hatte. Besonders die Zeichnungen der letzten Lebensjahre kombinieren Text, Bild, sowie eine Bearbeitung des Papiers. Die im Theater der Grausamkeit versuchte Rehabilitierung des Körpers wie auch seiner Verbindung zum Wort findet nun auf der Ebene des Papiers statt.