Gedanken zu einem Theaterumzug im Kontext stadträumlicher Dynamiken

Jan Lemitz / Kathrin Tiedemann (Düsseldorf)

 

 

 

Im städtischen Raum überwiegen das Funktionale und Pragmatische. Um Ansprüchen wie diesen gerecht zu werden, verändern sich die städtischen Landschaften, die uns umgeben, oftmals über die Grenzen des Wiedererkennbaren hinaus. Mit Anbruch der ökonomischen Krise 2008 und verstärkt durch dauerhaft niedrige Zinsen fließen seitdem Kapital und Investitionen nahezu ungebremst in die Städte. Zwar gibt es Bemühungen seitens Politik und Verwaltung regulierend einzugreifen, doch überwiegt ein (neo-liberales) Verständnis von Raum, das dem Gemeinwohl verpflichteten Konzepten und Vorstellungen von Stadt entsagt. An wirtschaftlicher Effizienz orientierter städtischer Raum ist weniger der Integration, Teilnahme und Selbstbestimmung verpflichtet als der bloßen Regulierung seiner Bewohner*innen. Was sich darüber hinaus vom Leben in den Städten einschreibt, findet sich in Spuren und Fragmenten wieder. Diesen Spuren gehen wir im Rahmen unserer Recherche zu Stadt als Fabrik in Wort, Bild und in diversen Veranstaltungsformaten nach. Anlass ist ein geplanter Theaterumzug.

Entstehen und Verschwinden, Produktion und Abfall, Planen, Aufbau und Wachstum wie Abriss und Zerstörung sind untrennbarer Teil dessen, was sich in das Gesicht der Städte schreibt. Zwischen Zäsuren wie der des Krieges, des Wiederaufbaus der zerstörten zur „autogerechten“ Stadt oder des Verschwindens der industriellen Produktionsstandorte entstehen immer wieder Orte, die es ermöglichen, diese Geschichte(n) zu reflektieren; Orte, die für Praxen im städtischen Raum stehen, die keiner unmittelbar ökonomischen Zielsetzung folgen. Austragungs- und Spielorte scheinbar sinnloser, großzügiger Gesten; Gesten der Sprache und des Bildes, solche die Zeitmomente festhalten und solche, die sich in ihrer Flüchtigkeit nicht festalten lassen (wollen).

 

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Abb. 1: Bodenbelag im ehemaligen Hauptpostgebäude KAP1, Düsseldorf 2018

 

Jenseits der Schließung der letzten großen innerstädtischen Brachen, die sich aus den wandelnden Bedürfnissen und der Logik von Infrastrukturen ergibt, verändern sich auch die Gewissheiten und Kontinuitäten eines von bestimmten Abläufen und Strukturen geprägten städtischen Alltags. Mit dem Verschwinden dieser Gewissheiten und Kontinuitäten hinter Momenten der Prekarisierung verlieren auch die damit verbundenen, kollektiven urbanen Narrative an Bedeutung. Gleichzeitig sind genau diese Narrative untrennbarer Teil von Strategien, mit denen Stadtraum zu inhaltlich und individuell aufgewertetem Real Estate kommerzialisiert wird.

Bei Gründung des Forum Freies Theater 1999 ging es nicht zuletzt darum, zwei bereits existente Theaterstandorte einer neuen Nutzung zuzuführen: die damals leerstehenden Kammerspiele auf der Jahnstraße im Stadtteil Friedrichstadt und das Junge Theater in der Altstadt im Anbau des Wilhelm-Marx-Hauses auf der Kasernenstraße. Beide Spielstätten bilden das heutige Zuhause des FFT, das seiner Aufgabe und seinem Selbstverständnis nach den diversen Aktivitäten der freien Szene Produktionsstätte und Bühne bietet. Hier begegnen sich unterschiedliche Zuschauergruppen im Austausch mit lokalen und internationalen künstlerischen Positionen. Arbeitsweisen werden kontinuierlich weiterentwickelt und im Kontext aktueller gesellschaftlicher Diskurse zur öffentlichen Diskussion gestellt.

Fast vergessen scheint, dass sich bereits die Existenz der Kammerspiele der historischen Kontinuität eines Theaterstandorts verdankt. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg war im selben Block mit dem Apollo-Theater die größte Bühne der Stadt ansässig. Gleich nebenan wurde das Hotel-Restaurant Artushof errichtet, das 1910 aufgegeben und zum „Kleinen Haus für Schauspiel“ umgebaut wurde.

Es gilt als Ursprungsgebäude des heutigen Schauspielhauses. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurde es in den 1950er-Jahren wiederaufgebaut, als Schauspielhaus genutzt und 1973 abgerissen, um einem Bürohochhaus zu weichen. Das Schauspielhaus selbst bezog seinen ikonischen Neubau am Gustaf-Gründgens-Platz, der 1971 eingeweiht wurde. Besagtes Hochhaus befindet sich also auf einem ehemals städtischen Grundstück. Als Kompensation für den Verkauf der kulturell genutzten, städtischen Immobilie wurde in seinem Kellergeschoss ein Theater eingerichtet, für das die Stadt seither ein Dauernutzungsrecht hält. Diese Vereinbarung gilt bis 2073. Nach jahrelangem Leerstand und einer kurzen kulturellen Zwischennutzung seines Erdgeschosses durch das FFT wurde das Bürogebäude inzwischen an einen Investor übergeben. Während der Theaterbetrieb im Kellergeschoss weiterläuft, wird es derzeit zu einem Hotel umgebaut und reiht sich damit ein in eine Vielzahl ähnlicher Projekte, die sich wie ein roter Faden durch den Stadtumbau ziehen.

 

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Abb. 2: Innenbereich im ehemaligen Hauptpostgebäude KAP1, Düsseldorf 2018

 

Mit dem durchaus markanten Bau aus den 1970er-Jahren wurde eine Stelle in der Stadt überschrieben, die reicher an bühnenbezogenen Referenzen kaum sein könnte. Sie verweisen auf eine Zeit, als die Gegend am Ende der Königsallee um den Graf-Adolf-Platz herum Bahnhofsgegend war. Der Funktion nach der Mobilität gewidmet, war schon damals für eine Reputation gesorgt, an der sich bis heute nicht viel geändert hat. Mit der Verlegung des Bahnhofs während der Gründerjahre an seinen gegenwärtigen Standort wuchs die Stadt weiter, entsagte der Vielzahl an Kopfbahnhöfen und machte aus dem damaligen Stadtrand ein lukrativ gut angebundenes und vernetztes Terrain für Spekulationen und Entrepreneurship. Die Fabriken wuchsen und mit ihnen die Viertel als Teil einer Dynamik, die von den unterschiedlichsten Kräften und Interessengruppen entwickelt wurde.

 

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Abb. 3: Erinnerung an den Stahlstandort Düsseldorf-Oberbilk,
Hauptbahnhof, Düsseldorf 2018

 

Nun stehen erneute Umzüge an. Der sich im Besitz der Stadt befindliche Anbau des Wilhelm-Marx-Hauses aus den 1980er-Jahren, in dem sich diverse soziale und kulturelle Einrichtungen befinden, soll verkauft werden. Mit dem geplanten Umzug und der Zusammenlegung beider Spielstätten des FFT an einem neuen Theaterstandort im Bahnhofsviertel schließt sich der Kreis. Damit ergibt sich ein konkreter Anlass, die Rolle des Theaters als Teil der städtischen Öffentlichkeit und der herrschenden räumlichen Praxen grundsätzlich zu befragen.

Geschichte aktualisiert sich; sie wird überschrieben und ist umkämpftes Ausdrucksmittel eines Prozesses, für den der bevorstehende Umzug der Kammerspiele aus dem historischen in das heutige Bahnhofsviertel beispielhaft ist. Mit diesen Orten und Momenten im Städtischen geraten die Erinnerungen an Erlebtes ebenso wie Erfahrungswerte nicht zuletzt aus sozialen Auseinandersetzungen in Vergessenheit. Die Geschichten der Bühnen und Theater erzählen immer wieder auch Geschichten sozialer Utopien, davon wie Stadt aussehen könnte. Anhand dieser Geschichten lassen sich die historischen Zäsuren im Stadtbild, im Verstehen und Erinnern von Stadt ebenso vergegenwärtigen wie die aufgerissenen Lücken im Gedächtnis eines Kollektivs, das sich immer wieder selbst erneuert.

Im Zuge der Umnutzung der ehemaligen Hauptpost zum kulturellen Hub stehen größere architektonische und städtebauliche Veränderungen im und am Gebäude an.

 

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Abb. 4: Putzmittellager im ehemaligen Hauptpostgebäude KAP1,
Düsseldorf 2018

 

In dessen Innerem prallen gewissermaßen Welten aufeinander. Die Hauptpost am Konrad-Adenauer-Platz wurde 1991 eröffnet und war schon in diesem Moment der Funktion nach obsolet. Im Windschatten der Wiedervereinigung war die lang gehegte Idee der Privatisierung der Deutschen Bundespost vorangetrieben worden. Aufgeteilt in Segmente von Bankwesen, Telekommunikation sowie Brief- und Paketpost war die Nähe zu den Schienen nicht mehr gefragt. Stattdessen setzte DHL auf die Straße als Transportweg.

Ein Koloss, der es LKWs ermöglicht, bis in den 1. Stock zu fahren, mit seinen Traglastkapazitäten einer Bibliothek und Archiven würdig und höchstwahrscheinlich auch den damals erforderlichen zivilschutz- rechtlichen Maßnahmen ebenfalls genügend, steht seine bevorstehende Transformation auch für die tiefgreifenden Veränderungen in dem sozialen Gefüge, das es umgibt. Räumlich eingeschrieben haben sich hier neue Ökonomien der globalen Produktion und Zirkulation, die gerade an den Wegen, die sich das Postaufkommen der heutigen Zeit bahnt, spürbar machen, worin die Differenzen und Wandlungen von Arbeit und Konsum gegenwärtig bestehen.

 

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Abb. 5: Ehemalige Schalterhalle im ehemaligen Hauptpostgebäude KAP1,
Düsseldorf 2018

 

Theater als ein Ort der Versammlung und einer künstlerischen Praxis des Flüchtigen – funktioniert es als Ort der Vergesellschaftung? Als ein Moment, der die auf Wertschöpfung zielenden Prozesse in Frage stellt und ihnen widerspricht? Der für eine Kunst der Verausgabung, der Verschwendung, des Festes steht? Was genau ist gemeint, wenn wir über das Fehlen von oder das mangelnde Interesse an Aushandlungsprozessen und Beteiligung in der Stadtgesellschaft sprechen? Welches Wissen und welche Ressourcen können Bühne und Theater an dieser Stelle zur Verfügung stellen? Wie können die Praxen des Planens und Entwerfens, des kollektiven Produzierens und modellhaften Erprobens sozialer Beziehungen für die städtische Öffentlichkeit (über den Besuch einer Theatervorstellung hinaus) eine lebendige Bedeutung erhalten? Wo wirken die Interessen der unterschiedlichen Akteure zusammen; wo geraten sie in Konflikt; an welcher Stelle artikuliert sich Protest?

 

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Abb. 6: Bauarbeiten im ehemaligen Hauptpostgebäude KAP1,
Düsseldorf 2018

 

Die sich nun unversehens vollziehende Partizipation des Theaters am Stadtumbau eröffnet die Möglichkeit einer reflektierenden und einfordernden Beobachtung und Beteiligung. Zwangsläufig folgt das Theater mit der Aufgabe seiner bisherigen Spielstätten zunächst der Logik des Ausverkaufs öffentlich-städtischen Eigentums. Sein neuer Standort findet sich ausgerechnet in einer Logistik-Ruine der ehemaligen Bundespost in der Nähe des Hauptbahnhofs, wo mit der investitionsschweren Neugestaltung des Bahnhofsviertels nicht nur gleich ein ganzes Kulturquartier, sondern mit dem Bahnhofsvorplatz auch das öffentliche Bild der Stadt mit entworfen wird.

 

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Abb. 7: Pflanzenbestand der bis Jahresende 2017 im Hauptpostgebäude KAP1
befindlichen Postkantine, Düsseldorf 2018

 

Von welchen Widersprüchen in den räumlichen wie kreativen Produktionsverhältnissen wäre also zu sprechen? Als Auftakt einer inhaltlich-programmatischen Auseinandersetzung des Theaters mit den beschriebenen Dynamiken und Kraftfeldern im Kontext des Städtischen, waren wir Anfang Juni 2018 ein erstes Mal vor Ort und spürten der ursprünglichen, der Zirkulation von Objekten, Waren und Information gewidmeten Funktion des Postverteilzentrums nach. Wir greifen diesen Faden in einer Zeit auf, in der die Lieferbranche zu einem wesentlichen ökonomischen Faktor wird. Welche neuen Formen materiellen Austauschs, mit neuen, virtuellen Möglichkeiten der Vernetzung werden hierdurch eingeführt? Wie prägen sie unser Zusammenleben und welche neuen Möglichkeiten der Organisation sozialer Bewegung eröffnen sich daraus?

 

 

Das FFT Düsseldorf nutzt seit seiner Gründung 1999 zwei Spielstätten in der Düsseldorfer Innenstadt: FFT Juta und FFT Kammerspiele. Träger des Theaterbetriebs ist der gemeinnützige FFT e.V. Als Produktionshaus für freie darstellende Künste koproduziert das FFT im Jahr rund 30 Theaterprojekte mit lokalen, überregionalen und internationalen Gruppen, dazu Konzerte, Gastspiele, Festivals, Workshops, Konferenzen etc. mit insgesamt rund 300 Veranstaltungen jährlich. Das FFT Juta befindet sich im Anbau des Wilhelm-Marx-Hauses aus den 80er Jahren, einem Gebäude im Besitz der Stadt Düsseldorf, das verschiedene soziale und kulturelle Einrichtungen beherbergt, die aufgrund des vorgesehenen Verkaufs des Gebäudes dort ausziehen müssen. Die FFT Kammerspiele sind im Kellergeschoss eines Bürohochhauses aus den 70er Jahren untergebracht, das nach jahrelangem Lehrstand vor kurzem zu einem Hotel umgebaut wurde. Seine angestammten Spielstätten wird das FFT in absehbarer Zeit verlassen und aufgeben. Ein neuer Standort wurde in der ehemaligen Hauptpost am Düsseldorfer Hauptbahnhof gefunden, die derzeit zu einem kulturellen Zentrum ausgebaut wird, in dem mit der Zentralbibliothek und dem Theatermuseum weitere kulturelle Einrichtungen zu finden sein werden. Das Theater wird dort einen großen, flexibel zu nutzenden Saal erhalten, der mit 490 m2 Bühnenfläche sowie einer Teleskop-Zuschauertribüne (für max. 235 Plätze) ausgestattet sein wird. Eine große Probebühne (135 m2), eine kleine Probebühne (112 m2), die auch für Aufführungen mit max. 60 Zuschauern genutzt werden kann, sowie ein großzügiges Foyer (330 m2) mit Fenstern zum Bahnhofsvorplatz ergänzen das räumliche Angebot. Die Eröffnung ist für Frühjahr/Sommer 2021 geplant.

 

Alle Fotos © Jan Lemitz

 

 

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